Workshop | Paper

Ausstieg aus dem Neukantianismus: vom System zum Ereignis

Maja Soboleva

Thursday 23 May 2019

15:10 - 15:50

Mit dem Titel „Ausstieg aus dem Neukantianismus“ wird das Stichwort des Vortrages gegeben. Den Schwerpunkt bildet die Analyse und Auswertung der Theorie von Hermann Cohen vom Standpunkt der Ideenentwicklung, die im 20. Jahrhundert in Richtung handlungsfundierte Kulturtheorie weist.

Zentral ist vor allem der von Cohen vollzogene Schritt zu einer einheitlichen Kulturphilosophie unter dem methodischen Gedanken der „Erzeugung“. In dieser Hinsicht kommt ihm besondere Bedeutung zu, da er das Denken des Systems und das Denken der Kultur in einen untrennbaren Zusammenhang setzt. Er entwirft einen funktionalen Kulturbegriff, der auf die Einheit des kulturschaffenden Prinzips zurückgeht und versucht das Ganze der Kultur als Objektivierung des menschlichen Geistes anhand des Schematismus der drei klassischen Richtungen des Kulturbewusstseins – „reines Denken“, „reiner Wille“ und „reines Gefühl“ – synthetisch, ausgehend aus dem Prinzip der funktionalen Einheit des Geistes darzustellen.

Obwohl Cohens System der Philosophie entschieden an Einfluss auf die nachfolgenden Diskussionen einbüßte, gehört Michail Bachtin zu den wenigen Ausnahmen, weil er wesentliche Impulse von Cohens Systemgedanken erhalten hat. Bachtin hält an Cohens „aktivistisch-idealistischen“ (Ollig) Verständnis des schaffenden Subjekts fest. Indem er die Handlung ins Zentrum seiner Überlegungen stellt und sie in den Ausgangspunkt für die Erarbeitung einer existenziellen Ontologie der Kultur verwandelt, zieht er die Linien aus, die schon bei Cohen angelegt waren.

Der Begriff „Handlung“ in seiner sinnstiftenden und wertbestimmenden Funktion erlaubt es, die Brücke zwischen Systemgedanken Cohens und existenziell orientierten Überlegungen Bachtins zu schlagen. Die Analyse dieses Begriffs gibt erstens die Möglichkeit der Kontextualisierung der Bachtinschen philosophischen Ansatzes in der Weiterentwicklung und Transformation des Neukantianismus in Blick zu bekommen. Zweitens kann sie zeigen, dass die Cohensche analytische Ausdifferenzierung verschiedener Bewusstseinsbereiche und deren Verknüpfung in ein System, den Bedürfnissen des modernen Denkens nicht mehr entsprechen konnte und einer kritischen Infragestellung unterworfen wurde.